Zwischen Leben und …

Hab ein paar Tage nichts geschrieben, obwohl es was zu schreiben gibt. Aber was soll man machen, wenn einem die Worte fehlen? Oles und mein Englandtörn beginnt mit kleinen Hindernissen. Wir sind in Den Oever, also am westlichen Ende des IJsselmeer-Abschlussdeiches, und Ole muss mich erstmal in den Masttop winschen, weil meine Windex (für den mitlesenden Laien: der Windanzeiger da oben) mit den Ohren wackelt und scheinbar eine Schraube locker hat. Aber alles ist fest, das Ding ist einfach nur ein bisschen ausgeschlagen und möchte im kommenden Winter erneuert werden.

Am nächsten Morgen kurven wir um 7 vor der Schleuse herum – als einziges Schiff. Insgesamt dauert es über eine Stunde, bis wir draußen im Watt sind. Die Meisterin der Schleuse ist am Funk zwar nett, aber für jeden Arbeitsschritt benötigt sie an diesem frühen Morgen offenbar erst einen groooßen Kaffee.

Dann endlich öffnet sich das Tor zur Freiheit. Wir könnten bis nach New York durchsegeln. Aber wer will da schon hin. Lowestoft ist doch viel verlockender.

Nach weiteren 2 Stunden haben wir Den Helder hinter uns und die offene Nordsee liegt vor uns. Die Überfahrt ist ein fifty-fifty Mix aus Motor- und Segelstunden. Entweder kommt der Wind exakt von vorn, oder er kommt gar nicht. Flaute. Um 19:30 ist endlich Ruhe im Maschinenraum und die Segel sind oben. Das nächtliche Segeln ist herrlich. Ole und ich lösen uns im 3 bis 4 Std-Rhythmus ab. AIS hilft ungemein – uns und den dicken Pötten. Die ersten Bohrinseln tauchen auf, Windparks sowieso. Ich lass mal Bilder sprechen:

Und auch das hier gibt’s zu sehen (Foto rechts). Immer wieder kommt uns Müll entgegen. Milchtüten, Plastikkanister, -bälle und -tüten, und anderes, undefinierbares Zeug. Nicht gerade ein Müllteppich, aber in dieser Häufigkeit wirklich bemerkenswert.

Am Sonntag dem 2. Juni um 10 Uhr, also nach 27 Stunden, bitte ich per Funk um Einfahrterlaubnis in den Hafen von Lowestoft, 15 Minuten später legt Rüm Hart zum ersten Mal an einem englischen pontoon an, und wir sind ein bisschen stolz.


Dieses Gefühl aber hält nicht lange. Aus Lingen erreicht uns die Nachricht: Omi ist gestorben. Sigrids Mutter, 91 jährig und sehr herzschwach, hat einen Sturz in ihrem Badezimmer in einem Lingener Seniorenheim nicht überlebt. Obgleich absehbar, ist der Schock natürlich groß, und es wird einem wieder einmal klar gemacht, wie sehr Leben und Tod, Freude und Trauer, Spaß und Ernst zusammengehören und eine – nicht immer bequeme – Einheit bilden.

Sigrid und ihre Schwester verweigern uns ihre Zustimmung zum Spontanabbruch unserer Reise und drängen auf Fortsetzung. Was wir daraus machen erzähle ich im zweiten Teil, gleich nach diesem. Nur so viel: diesen Blogeintrag schreibe ich heute am 5. Juni in Woolverstone im River Orwell. Die Borduhr zeigt 10:40, und jetzt machen wir uns bereit für die Überfahrt nach Ijmuiden, also zurück nach Holland. London wird verschoben.

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