Absegeln

Nein, ich habe nicht die zeitliche Orientierung verloren. Es ist Anfang März, ich weiß es, und auch, dass dann das An- und eigentlich nicht das Absegeln erste Schimmer auf den jahreszeitlichen Horizont werfen sollte. In diesem Fall geht es aber um Grundsätzliches, beginnend mit den seglerischen Plänen für 2023 – die ich gerade über den Haufen geworfen habe.

Ich habe über die Jahre versucht, weder ein großes Geheimnis, noch eine große Story draus zu machen: meine angeschlagene Gesundheit, die zu einer nachlassenden körperlichen „Performance“ führt. In meinem Gesamtkunstwerk sind es in erster Linie Herz und Lunge, die gewisse Eigenwilligkeiten entwickelt haben. Plus ein paar weitere lockere Schräubchen im Getriebe, das die alten Drehmomente nicht mehr so recht auf die Straßen bringen kann. Alles in allem schlechte Voraussetzungen für einen wochen- und vielleicht sogar monatelangen Törn an die südenglische Küste. Weymouth war das diesjährige Ziel. Dort lebt und arbeitet unsere Jüngste Wibke, und Sigrid hatte kühn vorgeschlagen, dass man sie doch stilecht per Boot besuchen könne.

Geile Idee! Mein geistiges Ich fand großen Gefallen an dieser nautischen und navigatorischen Herausforderung – mein körperliches hatte Bedenken. Leider kann ich beide nicht trennen, sonst würde das eine auf Englandtour gehen, während das andere zur Generalüberholung geschickt würde. Käme ich zurück, würden beide zu einem wahren Jungbrunnen wiedervereinigt (und die Krankenkasse würde endlich sämtliche Rüm Hart Kosten übernehmen 🙂 ). Zu viele Konjunktive sind nie gut, ich weiß es – und schreibe diese Zeilen mit Frieden im Herzen.

Ich hab’s endlich kapiert: die Zeit der ganz langen Törns ist vorbei. Was jetzt noch folgt ist tatsächlich sowas wie ein „Absegeln“ aus einer lebenslangen Segelsaison mit vielen geradezu orgiastischen Höhepunkten. Allein, dass 2011 mit Rüm Hart ein absolutes Traumschiff in mein Leben trat, war und ist so einer. Oder 2015 der halbjährige Solotörn Papenburg – Turku – Papenburg. Schon dieser Ostseetörn fand mit körperlichen Problemen und Baustellen statt, was aber unterwegs nie zu einem Problem wurde, weil ich es gut hinbekommen habe, meine Physis zu managen, wenn man es so nennen will.

Okay, atmen wir durch und passen wir vor allem unsere Ziele den neuen Möglichkeiten an. Südholland ist immer noch nicht erkundet, das IJsselmeer ist toll, noch schöner die Waddenzee, und von dort aus sind auch die deutschen Nordseeinseln erreichbar. Und nach Südengland kommt man auch mit Fähre und Auto.

Gestern war ich Rüm Hart im Winterhafen besuchen. Sie schwimmt und riecht gut. Beides ist wichtig, letzteres vor allem, weil ich ja diesen Winter auf eine elektrische Entfeuchtung im Boot verzichtet habe. Kein Schimmelmuff. Ich bin beruhigt. Erste Spuren eines reduzierten Ansegelns waren deutlich zu spüren. Ich freu mich darauf.

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