Wattentörn

DSC00860autokorrektSo, ich war ein bisschen unterwegs, und es wird Zeit zu berichten. Beginnen muss ich gleich mit einem Geständnis. Ein Erlebnis, das mir als Autofahrer bislang vorenthalten blieb, hab ich nun als Steuermann eines Schiffes nachgeholt: Ich bin gegen einen Baum gefahren. Gleich mehr davon, zuerst ein paar grundsätzliche Schilderungen.

DSC00744autokorrektDie niederländische Firma Heech by de Mar baut, verkauft und verchartert Plattbodenschiffe in Friesland. Zweimal war ich bereits deren Charterkunde, beide Male mit den Reiterseglern, von denen ja in diesem Blog vor geraumer Zeit schon erzählt wurde. Regelmäßig im Frühjahr veranstaltet Heech by de Mar einen Flottilientörn ins niederländische Wattenmeer mit vielen ihrer Schiffe, von denen man entweder zu diesem Zweck eines mit eigener Crew komplett chartert, oder sich eine einzelne Koje auf einem Skipper geführten Schiff sucht. So landeten Freund Ralf und ich auf der ‚Hendrickje Stoffels‘, zusammen mit vier anderen, uns zu Beginn noch unbekannten Deutschen und dem Skipperteam Jan Cees und Harry, ersterer gleichzeitig der Flottenadmiral.

DSC00754autokorrektVon Heeg aus ging es gleich am ersten Tag in einem Rutsch und mit der gesamten Flotte von 13 Schiffen nach Workum, ins Ijsselmeer, zur Schleuse Den Oever, dort ins Wattenmeer und schließlich nach Texel. Und dann, im weiteren Verlauf der Woche, weiter nach Vlieland, Terschelling, Ameland, Harlingen, Makkum, Lemmer, Heeg. Zu dieser knappen Aufzählung der örtlichen Fixpunkte müssen noch die meteorologischen Ereignisse hinzugefügt werden: Starkwind, Flaute, heftiger Regen, Sonne, Hagel, Kälte, Nässe, schwarzer Himmel, blauer Himmel. Aprilwetter halt. Aber mit starken Amplitudenausschlägen. Die gezeigten Fotos mögen diesbezüglich ein wenig täuschen. Das liegt aber daran, dass ich für meine Kamera trockene Einsatzbedingungen bevorzuge.

DSC00838autokorrektAuch der nautische Verlauf der Reise hatte Höhepunkte. Zuerst das Watt an sich mit seinen navigatorischen Herausforderungen und Hürden, aber auch wasserlandschaftlichen Schönheiten. Besonders beeindruckend das Trockenfallen vor der Naturschutzinsel Richel am Ostende von Vlieland. Der verdiente Lohn für einen reibungslosen Törnverlauf bis hierher: Sonnenwetter! Fast wolkenloser Himmel, Wind und eine Flotte von 13 Schiffen, denen allmählich das Wasser unterm Hintern wegläuft. Aus denen dann Menschen mit Gummistiefeln (oder barfuß) krabbeln und begeistert zwischen den Schiffen hin und her laufen. Die sich dann aber wie von Geisterhand – weil in alter, aber doch tief drinnen noch vorhandener Erinnnerung des nachteiligen Gefühls von nassen Hosen – rechtzeitig bevor das Wasser wieder da ist, auf ihre Schiffe zurückziehen. Ergreifend schön!

DSC00933autokorrektAllerdings, auch dies muss gesagt werden: Der Lerneffekt, den ich für mich und meine weiteren Pläne mit Rüm Hart erhofft hatte, war nicht in der Art und Menge verfügbar, die ich erwartet hatte. Theorie-Vermittlung wurde leider kaum angeboten. Wissen, bei der Schiffsführung im Übermaß vorhanden, musste selbiger aus der Nase gezogen werden, wurde nicht freiwillig weitergegeben. Die Abstimmung zwischen den beiden Skippern an Bord geschah auf Niederländisch und blieb uns Deutschen zumindest anfänglich verborgen. Später – zu spät – hatte man sich doch mehr und mehr in die Sprache reingehört. So geschah Lernen durch Beobachten und ganz für sich entscheiden ‚dies und das kann ich für mich übernehmen‘, oder auch ’so werde ich es garantiert nicht machen‘.

In die letzte Kategorie gehört bei mir seit einer Woche das Übermangeln von Pricken. Das Dumme ist nur, dass bei diesem Vorgang nicht ich der Beobachter war, sondern der Akteur. Und noch dümmer, dass die Aktion DSC00948autokorrektverwundert von der kompletten restlichen Schiffsbesatzung verfolgt wurde (was aber meiner gesunden Gesichtsfarbe förderlich war). Okay, damit auch der nautische Laie weiß, wovon ich rede: Pricken sind fast gänzlich entästete Bäume, die vom jeweiligen nationalen Schifffahrtsamt bei Ebbe an den Rand der natürlichen Fahrrinnen gesteckt (eingespült) werden. Die sind so lang, dass sie auch bei Hochwasser noch mehrere Meter aus selbigem herausschauen und dem Steuermann (in diesem Fall mir) den Weg weisen (sollten …). Na ja, ich also am Ruder, darauf konzentriert, sämtliche Pricken der Welt sauber an Backbord zu lassen. Wind und Flutstrom von Steuerbord schräg hinten, Großsegel und Fock gesetzt. Der Schiffsführung gefällt es, das Großsegel zu gatten – eine spezielle Art der Verkleinerung der Segelfläche auf Plattbodenschiffen von unten nach oben, die einerseits die Anströmung der Fock verbessert,DSC00899autokorrekt aber auch andererseits dem Steuermann eine bessere Sicht nach vorn gewährt. Sehr angetan von Harrys Arbeit am Mast, verpenne ich die Tatsache, dass durch eben diese Veränderung der Segelfläche sich Geschwindigkeit und in Folge Abdrift von Hendrickje Stoffels nachteilig verändern. Allerdings – und da wir ja nun eine bessere Sicht auf die Dinge haben – kommt der Zusammenstoß mit der sich mit nautischer Rasanz nähernden ehemaligen Birke nicht mehr völlig unvorbereitet. Wir können tatsächlich noch die Luft anhalten. Nur Harry, der der Fahrt- und Driftrichtung arbeitsbedingt den Rücken zukehrt, ist zunächst verwundert über die erwartungsvolle Starrheit in den Gesichtern seiner Crew und dann über die für maritime Bedingungen ungewohnten Geräusche zuerst am Bug, dann an der Backbordseite. Das steigert sich – man sieht es deutlich – zu großem Erstaunen, als in Folge und auf dem weitem Meer natürlich völlig unerwartet, Birkengeäst in seinem Steuerbord-Ohr kitzelt und nach ihm greift.

Das Geschehen bleibt Gott sei Dank ohne Folgen für Schiff und Crew. Ob allerdings das Bäumchen … naja, Pricken sind biegsam und einiges gewöhnt. Nehmen wir also unschuldig an, dass auch ihr Überleben vorübergehend gesichert ist.

Und für mich ganz persönlich hoffe ich, dass damit das Kapitel ‚gegen Bäume fahren‘ erledigt ist. Egal, mit welchen fahrbaren Untersätzen auch immer.DSC00824autokorrekt