Staande Mastroute, eine Bildergeschichte in 2 Teilen, Teil 2

IMG_0429 bearbNa ja, eigentlich handelt es sich gar nicht mehr um die Staande Mastroute. Die ist in Delfzijl zu Ende. Aber meine Fotos vom Gesamttörn sind unter diesem Begriff abgelegt, und da muss man ja auch konsequent bleiben. Sonst kommt man durcheinander.

Okay, hier links mal ein Überblick (ein screenshot von meinem iPad; draufklicken, dann sieht man’s besser). Links oben Delfzijl, rechts unten Papenburg, da will ich hin. Dazwischen Emden und Leer. Ganz einfach. In der blauen Ecke rechts oben ist Deutschland nicht etwa stufig geschnitten. Das liegt nur außerhalb der Reichtweite der niederländschen, elektronischen Karte.

Donnerstag Morgen – Sigrid hat gestern abgemustert (der VHS-Job) – will ich eigentlich mit Niederigwasser so gegen 10:00 Uhr los. Eigentlich! Denn als ich die Döppen morgens aufmache und nach draußen linse sehe ich – nichts. Alles grau. Ganz offensichtlich schwimme ich auf Wolkenhöhe. Nebel, das Ende des Stegs (geschätzt 70 bis 80 Meter) ist nicht zu erkennen. 

Scheiße! Sorry, ich kann es nicht anders ausdrücken. Ich habe absolut keinen Bock, hier noch eine dritte Nacht zu verbringen und beobachte beim Frühstück intensiv die Watte um mich rum. Und wirklich, sie scheint etwas durchsichtiger zu werden. 

Ich funke mal die Verkehrszentrale an und frage wie es denn auf der Ems so aussieht. Knappe Antwort: bleib wo du bist! Wir haben hier keine 50 m Sichtweite. Noch mal Sch… Okay, schon gut, ich reiß mich zusammen. 

Aber tatsächlich, die große Wolke hebt sich, ich kann auf einmal das gegenüberliegende Hafenbecken erkennen. Erstaunt beobachte ich bei mir Folgendes: ich will hier weg, will nach Papenburg und bin bereit, dafür ein Risiko einzugehen. Ich rufe mich selber zur Vernunft und erneut auf Kanal 20 die Verkehrszentrale an. Und – oh Wunder – auch auf der Ems ist die Sicht in der letzten Stunde erheblich besser geworden. „Fahr man los“ ist die Ansage, „das wird schon noch bis du hier bist“.

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Das ist ein Wort. Noch schnell tanken und keine zwanzig Minuten später bin ich unterwegs. Zunächst auf dem ca. 3 Seemeilen langen Zeehavenkanaal, der im Grunde nur durch einen schmalen Landstreifen von der Ems getrennt wird. Es ist kurz nach elf, und immer noch ist die Sicht alles andere als berauschend. Das Foto oben (anklicken zum Vergrößern) zeigt es ganz gut, es scheint nicht wirklich hell zu werden heute.

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Hier noch mal die Karte im etwas größeren Ausschnitt. Gegenüber der Mündung des Zeehafenkanaals in die Ems steht übrigens auf deutscher Seite das Gebäude der Verkehrszentrale, die von hier aus ne Ecke über 100 km Ems lenken, steuern und überwachen. Sehr hilfsbereite und freundliche Menschen. Ich melde mich für meine Passage nach Papenburg an und bitte, da ich Revierneuling bin, ein Auge auf mich zu haben. „Gar kein Problem“, bekomme ich zu hören. Dann wollen sie noch wissen, wie die Sicht ist, welchen Tiefgang und welche Ausstattung ich habe. Aktiven Radarreflektor, AIS, Plotter und aktuelle Karte. „Okay, wir haben dich auf dem Schirm“. Ich verleugne nicht, dass mir das ein sichereres Gefühl gibt.

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Wir sind mittlerweile eine gute Stunde nach Niedrigwasser, der Tidenstrom drückt aber schon sehr spürbar in die Ems rein. Die Flussströmung der Ems, die ja dagegen hält, spielt keine Rolle mehr, die ist zu schwach. 

Am Funk bekomme ich mit, wie der bis dahin sehr freundliche Mitarbeiter der Vekehrszentrale einen Baggerführer zusammenfaltet, der offensichtlich weit nördlich in der Emsmündung bei schlechter Sicht im Fahrwasser(!) seinem Job nachgeht. Die Order ist klar: raus aus dem Tonnenstrich und zwar sofort. Der Baggermensch wehrt sich und gibt sich stur. Er habe schließlich einen Baggerauftrag. Die andere Stimme wird nicht nur phonetisch deutlich: „wenn du dich nicht auf der Stelle dort vom Acker machst, sorge ich persönlich dafür, dass das dein letzter Baggerauftrag ist, den du je in deinem Leben haben wirst!!!“ Vom Bagger ist daraufhin nichts mehr zu hören.

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Dann kommt Emden in Sicht, die dicken Pötte sind selbst im Dunst nicht zu übersehen. Und meine Fahrt wird immer flotter. Ich freue mich über die „8“ vorm Komma. Normalerweise bin ich bei rund 2.000 Dieselumdrehungen mit rund 6 Knoten unterwegs, aber nicht mit 8. Wunderbar, scheint schneller zu gehen als ich dachte. 

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Emden querab! Die Dicken sind Autotransporter, die bis hier her die Emsmündung befahren und in Emden ent- (asiatische Marken) bzw. beladen (deutsche Marken) werden. So zumindest meine Beobachtung von vor ein paar Jahren, als ich mal mit dem Auto durch’s Hafengebiet gekurvt bin. Kurz nach Emden ruft mich „Ems Traffic“ (die Verkehrszentrale) an und fragt, ob mir bewusst ist, dass ich außerhalb des Fahrwassers unterwegs bin. Ist es mir, ich halte mich zwischen den Fahrwassertonnen und den Kardinaltonnen des Geisedamms. Absichtlich. Am anderen Ende der Funkstrecke hat es offensichtlich einen Personalwechsel gegeben. Ich habe es jetzt mit einem Mädel zu tun, das noch einmal wissen will, wieviel Tiefgang Rüm Hart hat. „1,25 m. Wenn ich an Bord bin auch 1,30“. Sie lacht, rät mir aber etwas näher ans Fahrwasser zu gehen. „Da vorne wird’s gleich flacher“. Hatte ich gesehen, aber mir geht es gut mit dieser Art der Überwachung.

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Das Emssperrwerk kommt in Sicht. Auf die Entfernung ein Nadelöhr, aber schließlich gehen da auch ganz Große durch. Stichwort: Meyer-Werft. Vor ettlichen Jahren bin ich die Strecke schon zweimal kurz hintereinander
als Gast auf anderen Booten gefahren. Ist lange her. Meine Fahrt wird immer flotter, ich bin gespannt, ob ich die 10 Knoten noch reiße.

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Hinter dem Bauwerk fällt mir mit Blick ins Kielwasser auf, wie schlammig das Wasser auf einm
al geworden ist. Fast schon flüssiger Schlick. Ich mache mir Sorgen um meine Motorkühlung, mein Auspuffwasser sieht schließlich genauso schmutzig aus. Der Fluss wird enger, die gefühlte Mündungsweite ist Geschichte.

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Und damit bin ich im „Renn-Modus“. Der Tidenstrom wird enorm schnell und meine speed-Anzeige auf dem Plotter zweistellig. Ich komme bis knapp an die elf Knoten ran. Irre! Und dabei ist meine Fahrt durch’s Wasser gerade mal knapp über 6 Knoten. Das kleine Foto entstand sehr zeitnah zum oberen und zeigt 6,2 Knoten. Für den Laien: das obere ist eine GPS-Messung und zeigt die „Geschwindigkeit über Grund“ wie der Segler sagt, also die echte, mit der ich gerade unterwegs bin. Auf dem kleinen sind meine Cockpitinstrumente zu sehen. DieDSC06501 bearb klein dortige Geschwindigkeitsanzeige (Speed) wird mit einem Mini-Schaufelrad unter dem Boot gemessen und zeigt die „Fahrt durch’s Wasser“. Die Differenz ist die Strömung, in diesem Fall also 4,2 Knoten Tidenstrom, sogar gegen die ureigene Flussgeschwindigkeit. 

Ich bin überrascht, und plötzlich bekommen Fernseh- oder Zeitungsberichte über die Verschlammung und zunehmende Fließgeschwindigkeit der Ems eine ganz eigene Realität. Wenn man das in der Zeitung liest oder in der Glotze sieht, lässt man es abperlen, nicht an sich ran. Hier auf dem Fluss habe ich alle Hände voll zu tun. Tonnen und Brücken kommen rasend schnell näher. Da ist es vorbei mit der medialen Teilnahmslosigkeit, da bist du mitten drin im Geschehen.

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Und wenn du mit einem Affenzahn knapp an solchen Tonnen vorbeirauscht, die beinahe quer im reißenden Wasser liegen, dann wird’s ein bisschen ungemütlich. Ich hatte mich ja auf einen entspannten Törn eingestellt, so mit Kaffee kochen unterwegs und noch ’n Schnittchen essen. Vergiss es, Skippper! Ich verkneife mir sogar das Pinkeln … 

Die Jann Berghaus-Brücke kommt näher und ich funke die mal auf Kanal 15 an. „Jau ich mach auf, sobald der Verkehr es zulässt“. Na toll! Wie krieg ich denn meinen Kahn so lange zum Halten? Keine Minute später höre ich die Funke erneut: „Sportboot, Sportboot … kommst du von Emden? Also mit dem Strom???“ Exakt, komme ich. „Oha, dann mach ich mal besser auf. Kann sein, dass die nur zur Hälfte aufgeht, wir haben gerade Inspektionsarbeiten, aber du passt da durch“. Na gut, ich verspreche genau zu zielen. 

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Fünf Minuten später bin ich durch. Zehn Minuten später drehe ich mich noch einmal um und sehe erstaunt, dass der die Brückenteile jetzt ganz oben hat, aber keine Anstalten macht sie wieder zu schließen. Die stehenden Autos sind noch gut zu erkennen. So lange ich über die nächste Kurve hinaus noch Blickkontakt habe, ändert sich das auch nicht. Sorry, liebe Autofahrer … 

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Um viertel vor drei ist es soweit: die Meyer-Werft kommt in Sicht, und ich weiß, Rüm Hart schwimmt in emsländischen Gewässern! Wir – mein Schiff und ich – sind zuhause. Ein komisches, ein feierliches Gefühl. Obgleich ich ja Papenburg eigentlich nicht als mein Zuhause betrachte. Aber in solch großen Momenten ist man nicht pingelig …

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In Papenburg biege ich links ab und habe vor der Seeschleuse endlich ruhiges Wasser. Der Schleusenwärter lässt mich eine viertel Stunde warten. Mag der Geier wissen wieso und warum. Hier ist nichts los, und später erzählt er mir auch, dass eine Veränderung des Wasserstandes im Moment gar nicht notwendig sei. Na denn. Nach zehn Minuten öffenen sich die Tore der riesigen Schleuse und ich bin binnen im Hafengebiet von Papenburg. 

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Eine letzte (Eisenbahn-)Brücke noch und ich bin am Ziel. Hier, bewacht von einem historischen und Denkmal-mäßig wieder aufgeppelten Verladekran, wird Rüm Hart Winterschlaf halten. Im Wasser! Auch ein erstes Mal für mich. 

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Der Vereinsvorsitzende hatte mir gesagt „such dir man ne freie Box, ist egal welche“. Mach ich. Schön nah an den Duschen, falls Sigrid und ich mal nach dem Papenburgbummel übernachten wollen. Und außerdem muss ich mein Schiff ja auch noch einwintern und für die „Eiszeit“ vorbereiten. 

Ich gebe zu, dass ich ziemlich groggy bin. Ein Kaffee bringt mich wieder auf Trab. Und am Abend gönne ich mir ein leckeres und preiswertes Essen im „Wirtshaus“ (das heißt so) genau gegenüber. Zwei oder drei Bierchen und ich falle im Schiff in die Koje. Morgen holt Sigrid mich ab, und ich bin wirklich wieder zuhause. Und, das Schöne: hab mein Schiff für die Wintersaison in nur einer dreiviertel Stunde Entfernung ziemlich nahe bei mir.