Zwischenruf 2

Gestern wurde ich zu unserer mutigen Entscheidung beglückwünscht, ein Boot in Auftrag zu geben. Mutig? … na ja.

Um ehrlich zu sein, unsere ‚Rüm Hart‘ ist ein gutes Beispiel für Projekte und Lebensphasen, die sich rückblickend, also in der Erinnerung, vor allem durch eines auszeichnen: Zweifel. Damit meine ich nicht Fragen wie Bugstrahlruder ja oder nein? Grau oder Weiß? Pinnen- oder Radsteuerung? Das sind noch die harmloseren Überlegungen, Abwägungen und zu entscheidende Details, bei denen es zunächst darum geht, sich sachlich und nüchtern über die Vor- und Nachteile im Klaren zu werden und sich so eine Faktenlage zu schaffen.

Andere Qualitäten – und damit schon eher den Status ‚Zweifel‘ – bekommen grundsätzliche Fragen wie: Ist es richtig so viel Geld für ein Boot auszugeben? Ist es richtig das jetzt zu tun? Haben wir den richtigen Partner / die richtige Werft? Was halsen wir uns mit einem eigenen Boot auf, das sich am Ende des Charterurlaubs nicht einfach zurückgeben läßt? Oder auch: was mute ich Sigrid damit zu, kann ich das verantworten?

Alle diese Fragen entscheiden wir, ohne ihre Antworten zu kennen. Ja, ohne die geringste Chance zu haben, die Antworten vorab wirklich zu wissen. Trotz nagendem Zweifel eine Entscheidung zu treffen, dazu gehört eine bestimmte Haltung und Lebenseinstellung. Eine Mélange aus Fatalismus, Optimismus, Naivität, Mut, Realismus, Neugierde, Zielstrebigkeit, Egoismus, … Kennt jemand noch mehr Zutaten?

Immer wieder begegnen mir Menschen, die straight und ohne zu zucken ihre Entscheidungen durchziehen und dabei scheinbar nicht von geringsten Zweifeln geplagt werden. Beneidenswert. Und bemerkenswert. Weil die Exemplare, die ich dabei vor Augen habe, durchaus zu den geschäftlich Erfolgreichen gehören. Allerdings – und auch das fällt mir auf – nicht immer zu den privat Erfolgreichen. Ob das empirisch belastbar ist? Keine Ahnung, aber nicht jeder Mensch scheint sich zum Zweifeln zu eignen. Oder ist es nur so, dass Zweifel zwar höchst menschlich, aber nicht gesellschaftsfähig sind und also besser im Oberstübchen bleiben? Haben die keine, oder gehen die nur anders damit um? Ist es mannhafte Entschlussfreudigkeit, oder Angst am Zweifel zu verzweifeln?

Ist mir eigentlich auch egal. Für mich gilt eher, dass Zweifel und Entscheidungsmut sich gegenseitig kontrollieren und im Zaum halten – auf dass aus Mut nicht Übermut werde. Okay, manchmal sind sie schon eine Belastung. Aber sie sind nun mal vorhanden und scheinen mir eine gute Voraussetzung für soziale Kompetenz, Befähigung zur (Selbst-)Reflexion und gesunde Kritikfähigkeit zu sein. Oder umgekehrt?

Auf jeden Fall: Zweifel machen glücklich – wenn’s am Ende gut geht.


Nachtrag vom 13. April 2011:


Da sind die Unbedenklichen, die niemals zweifeln.
Ihre Verdauung ist glänzend, ihr Urteil ist unfehlbar.
Sie glauben nicht den Fakten, sie glauben nur sich, Im Notfall
müssen die Fakten d’ran glauben.
Ihre Geduld mit sich selber
ist unbegrenzt, auf Argumente
hören sie mit dem Ohr des Spitzels.

aus ‚Lob des Zweifels‘ von Bertolt Brecht – entdeckt bei Freunden